Zwischen Puffins und Pionieren
- thistle-bagpipe
- 21. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Apr.
Hallo Zusammen, heute wird es etwas emotional, lest selbst...

Der Tag beginnt unentschlossen. Während ich überlege, ob ich heute die Welt erobern oder einfach nur im Pyjama bleiben soll, bestätigt sich meine Vermutung, dass es sich bei dem kleinen, dunklen, unscheinbaren Häuschen gegenüber der Ferienwohnung um den Proberaum der Oban Pipe Band handelt. Ich habe den Tipp bekommen, dass die schottischen Pipebands meistens dienstags und donnerstags proben. Na dann werde ich mal die Ohren offen halten und ggf. berichten ;-)

Es regnet. Und die Frage die im Raum steht: Puffins oder nicht? Unglücklicherweise sind die Fähren zur Isle of Mull für die ganze Woche ausgebucht (für Autos). In Anbetracht, dass auch hier Ferien sind, eigentlich nachvollziehbar, aber was wollt ihr alle ausgerechnet jetzt dort…☹. Nach einigem Überlegen folgt der Beschluss, als Fußgänger rüber zu fahren und dann den Bus nach Tobermory zu nehmen um dort auf ein Schiff Richtung Lunga zu steigen, wo die Puffins wohnen. Ich war schon mal dort aber die Kinder sollen es auch mal erleben, wie schön das ist, zwischen den lustigen Gesellen im Gras zu sitzen. Einzig der straffe Zeitplan gibt ein wenig Grund zur Besorgnis aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt...allerdings erst übermorgen...
Damit sind wir wieder beim Heute….was tun… wir sind etwas trüb und träge, wie das Wetter. Doch am Mittag raffen wir uns auf und fahren zur Kirche der heiligen Jungfrau Bride in Lorn oder vielmehr das, was davon noch übrig ist.

Im „Glen of the Larch Trees“ – ein Name, der klingt, als könne er aus einem Fantasy-Roman stammen – befindet sich die Ruine dieser Kirche, die seit dem 6.Jh. ein Ort christlicher Anbetung ist. Umgeben ist sie von einem sehr alten Friedhof, auf dem aber auch noch heute Bestattungen stattfinden. Man kann sich in Schottland schwer dem morbiden Charme der alten Friedhöfe entziehen und ich sowieso nicht, ich gehe in Schottland immer auf Friedhöfe.


Dieser Ort war in noch früheren Zeiten der der keltischen Göttin Bride geweiht. Kilbride war vom frühen Mittelalter bis zur Zeit nach der Reformation eine der wichtigsten Kirchen Argylls. Außerdem sind hier die Clanchiefs eines der ältesten Clans Schottlands, MacDougall, begraben. Man könnte sagen, dieser geschichtsträchtige Boden hat mehr Geschichten zu erzählen als ein schottischer Barkeeper nach ein paar Whiskys…aber dann kam jemand, der noch mehr zu erzählen hatte…
Plötzlich rollt Liam mit seinem Elektrorollstuhl rasant über den Hof zu uns, begleitet von seiner treuen Labrador-Dame Sarah. Ich vermute, dieser liebenswerte, etwas schrullige, ältere Herr schaut am Fenster, als würde er auf die nächste Episode seiner Lieblingsserie warten – die „Besucher am Friedhof“, um sich dann in Erwartung nach Zerstreuung und guten Gesprächen schnell nach draußen zu begeben. Liam erzählt uns aus seinem Leben, er war Marinetaucher und in Deutschland stationiert. Ein bisschen Deutsch kann er auch noch. Dann erzählt er von seinem Freund Michael, der hier beerdigt ist. Michael war Deutscher und Musiker, und ich kann mir vorstellen, dass die beiden oft zusammen Musik gemacht haben. Leider verstarb Michael mit Anfang 50 an einem Herzinfarkt. Da er kein Geld hatte und nicht gläubig war, war die Beerdigung eine Herausforderung. Aber mit Liams Hilfe und der Unterstützung der Gemeinde wurde ein würdiges Begräbnis organisiert. Liam hat ihm einen großen Stern mit Lichtern gebaut, den er zur Weihnachtszeit in die Baumkrone über dem Grab zieht. Ein schöner Gedanke – wie ein Weihnachtsbaum für einen Freund, der immer noch leuchtet.Liam singt uns eine umgedichtete Version von „The Parting Glass“ für Michael vor, und ich bekomme Gänsehaut. Es ist, als würde die Melodie die Zeit anhalten und uns alle in einen Moment der Verbundenheit ziehen. Es muss eine große Freundschaft gewesen sein.
Dann zeigt er uns ein Holzkreuz zu Ehren seines Schwiegervaters. Es ist ein Stück Geschichte, dass auf seinem Hof steht. Er sagt, er hätte es selbst gebaut aus 300 Jahre altem Holz welches von einem alten Pier stammt.
Gegenüber vom Hof steht ein großes Kreuz auf einem Hügel, aus dem Jahr 1516 und er erklärt uns den Weg dorthin.

Er verschwindet plötzlich in seinem Haus und kommt mit ein paar Äpfeln wieder heraus, die er Paul und Josefine schenken möchte. Es war einfach nur süß. Doch während wir plaudern, wird klar, dass Liam vermutlich an beginnender Demenz leidet, da er sich nach 2 Minuten wiederholt oder die gleichen Fragen stellt. Es ist schon ein wenig traurig, dass er ganz allein dort lebt, 2 Söhne hat er wohl noch, seine Frau ist verstorben. Schließlich verabschiedet er sich, saust mit dem Rollstuhl in die Garage zurück und war verschwunden. Trotz dieser traurigen Situation wünsche ich ihm von Herzen alles Gute und noch viele herzliche Begegnungen mit Besuchern des Friedhofes, um die Geschichte von Michael noch lange lebendig halten zu können.
Weil es in dem Tälchen so hübsch ist, fahren wir noch ein Stück und beobachten die kleinen Schäfchen und ein paar Cattles.

Der Weg führt am Loch Feochan vorbei, über, vom Ginster, gelb gesäumte Single Track Roads bis nach Oban zurück.
Am Ende des Tages hallt das Gespräch mit Liam noch lange in mir nach und hat mich nachdenklich gemacht. Wenn ich wieder das Lied „The Parting Glass“ höre, werde ich wohl unweigerlich an Liam denken.
Ein schöner Spruch, den ich auf dem Friedhof fand, passt an dieser Stelle, glaube ich, ganz gut:
„Those we love don´t go away
They walk beside us every day
Unseen, unheard but always near
So loved, so missed, so very dear"
Ich bin mir sicher, Michael ist immer bei Liam…
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